Tim war vor wenigen Tagen im Kino, um sich »Thunderbolts*« anzusehen, und liefert hier, wie versprochen, ein spoilerfreies Review:
Letzten Donnerstag startete der neueste Marvel-Blockbuster »Thunderbolts*« - doch nach den eher durchwachsenen Jahren seit »Avengers: Endgame« stellte sich zunächst die Frage: Wird das überhaupt ein Blockbuster? Die letzten MCU-Phasen litten unter dem Zwang, sich ständig übertreffen zu müssen. Der Multiversums-Plot wirkte planlos, emotional flache Geschichten und gesichtslose CGI-Exzesse führten zu sinkenden Zuschauerzahlen. Wirkliche Erfolge wie »Spider-Man: No Way Home« oder »Deadpool & Wolverine« verdankten dies vor allem nostalgischer Cameos. Dagegen versanken potenzielle neue Avenger wie Ant-Man, Dr. Strange, Captain Marvel oder die neue Black Panther in mittelmäßigem Effektgewitter und übermächtigen Kräften, die jede Form spannender Dramaturgie erstickten. Und »Eternals« scheiterte völlig als Versuch, ein neues Superheldenteam zu etablieren.
Zwar gab es Lichtblicke wie »Shang-Chi« - dem jedoch eine klare Einbindung ins MCU fehlt - oder den bittersüßen Abschluss »Guardians of the Galaxy Vol. 3«. Auch Serien wie »Loki« oder »WandaVision« konnten einen starken Beitrag zum Universum leisten. Doch insgesamt fühlt es sich nicht so an, als wären wir auf eine große multiversale Bedrohung vorbereitet. Selbst »Captain America: Brave New World« war zwar besser als gedacht, wirkte aber überhastet und fast panisch bemüht, Sam Wilsons Captain America als neuen zentralen MCU-Helden zu etablieren, ehe Dr. Doom an die Tür klopft.
Jetzt also die »Thunderbolts*«: ein Team aus eher charmanten Nebenfiguren aus mäßig beliebten Formaten wie »Black Widow« oder »The Falcon and the Winter Soldier«, ergänzt um eine noch etwas blasse, aber tragische Figur aus »Ant-Man and the Wasp« - keine von ihnen galt bislang als tragende Figur mit spannenden Kräften oder besonders ausgefeiltem Storybogen - sowie Bucky Barnes alias Winter Soldier, der zwar beliebt ist, doch bisher immer irgendwie in der zweiten Reihe tanzte. Aber … die Trailer stimmten mich vorsichtig positiv. Und genau diese Unterbewertung und Unscheinbarkeit der Figuren ist vielleicht das, was dem MCU zuletzt gefehlt hat.
Denn wer hat das MCU ursprünglich groß gemacht? Ein arroganter Erbe ohne Superkräfte; ein schmächtiger, schüchterner Kerl mit Superserum, der einsam (Einsamkeit ist übrigens das zentrale Thema in »Thunderbolts*«) in der falschen Zeit aufwachte; eine gestürzte, erniedrigte und ebenfalls arrogante Gottheit und eine Bande von Verbrechern - keiner davon moralische Instanz von Beginn an. Sie alle mussten über sich hinauswachsen. Und genau das erleben wir hier wieder. Ohne Nostalgie-Cameos, ohne notwendiges Vorwissen über die gesamte MCU-Historie. Der Film kann für sich stehen und funktioniert auch für Neulinge.
Besonders gelungen: Wie diese bunt zusammengewürfelte Truppe von Außenseitern im Laufe des Films zu einem echten Team zusammenwächst, erinnert stark an »Guardians of the Galaxy«. Der Humor entsteht organisch aus den Figuren selbst ohne aufgesetzte Slapstick-Gags. Das ist auch die größte Stärke des Films: seine eigenwilligen, komplexen Charaktere. Vor allem Yelena (Florence Pugh) glänzt als neue Black Widow mit einer vielschichtigen, nach dem Tod ihrer Schwester schwer depressiven und moralisch ambivalenten Persönlichkeit, die endlich ihren eigenen erzählerischen Raum bekommt. Es ist definitiv ihr Film.
Wir brauchen keine überperfekten Helden, keine grellbunten Kostüme oder absurde Superkräfte, sondern nachvollziehbare, klar gezeichnete Charaktere. Und »Thunderbolts*« liefert genau das. Mit echten Staunmomenten, atmosphärischen Psychothriller- und subtilen Horrorelementen entsteht ein echtes Kinoerlebnis, das fesselt, ohne in unbedeutenden CGI-Schlachten zu ertrinken.
Neben Florence Pugh überzeugt vor allem Lewis Pullman als Bob alias Sentry: Selten war ein MCU-Antagonist so vielschichtig. Seine Figur weckt Erinnerungen an Homelander aus »The Boys«, Joaquin Phoenix' Joker und sogar Jobu Tupaki aus »Everything Everywhere All At Once«. Ich war tatsächlich überrascht wie sich seine Geschichte entwickelt - komplett anders als ich durch die Trailer erwartet hatte. Dafür einen fetten Applaus an die Editoren der Trailer! Und David Harbour als Red Guardian ist einfach herrlich – liebevoll, ein Fremdkörper und so witzig.
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Für mich ist »Thunderbolts*« einer der besten MCU-Filme überhaupt. Und er hat ein großes Plus: Durch diesen Film sehe ich einen Weg wie »Avengers: Doomsday« tatsächlich funktionieren kann. Er kann zwar für sich stehen, fügt sich aber absolut ein in das Gesamtprojekt MCU. Und bleibt unbedingt dran für die Mid- und Endcreditszenen! Sie liefern endlich wieder echten, relevanten Inhalt statt random Teaser auf Charaktere, die nie zurückkehren.
Von mir gibt es 8/10 Punkten für das Kinoerlebnis und 9,5/10 für die Rolle im MCU und die Bedeutung für Marvel insgesamt.
Und damit die Big Bosses bei Disney merken, dass wir ambivalente Charaktere wie Bucky und Yelena als neue Speerspitzen sehen wollen, müssen die Kinosäle voll werden und die Einspielergebnisse stimmen - also ab mit Euch ins Kino!
Hier könnt Ihr übrigens die ersten knapp 60 Sekunden des Films sehen (auf Englisch):
https://youtu.be/vZvlQObjL8oZum Schluss gibt es noch gute Neuigkeiten für Sammler: Natürlich lässt Hot Toys es sich nicht nehmen, das »Thunderbolts*« Team in 1/6 umzusetzen! Erst vor wenigen Stunden veröffentlichte der Hersteller einen Teaser für die ersten fünf Figuren zum Film - der Rest folgt mit Sicherheit bald.